Anthologie "Inseln"
Corona
Nur einen Atemzug weit
spring ich von Insel zu Insel
ichzudir wirzueuch.
Unter mir luftloses Schweigen.
Videokonferenz auf BigBlueButton
Ich schau dich an
im kleinen Fenster,
das inselhaft schwimmt im Big Blue.
Es ist schön, dich zu sehn.
Aber du
drehst den Kopf weg, denn du
schaust mich an
im kleinen Fenster,
das inselhaft schwimmt im Big Blue.
Ich wende den Blick.
Ich seh mich nicht und dich nicht –
die Kamera nur
am Rande des Bildschirms. Denn ich
will, dass du weißt, dass
ich
dich
seh.
Selkirks Ziege
Selkirk streicht sacht seiner Ziege über
den dunklen Streif am zartgeschwungenen
Rückgrat; ihr Fell ist warm und riecht freundlich.
Selkirks Ziege legt manchmal beim Melken
ihren Kopf auf seine Schulter. „Du bist
hier bei mir.“, denkt sie und: „Es ist gut so.“
Selkirk bringt ihr den Klee vom Hang und schützt
sie vor Angst, vor Kälte, sie kann ja nicht
laufen wie andre Ziegen, sie braucht ihn.
Dass er selbst es war, der ihre Sehnen
ihr durchtrennt hat als Zicklein, damit sie
nicht mehr flüchten kann, hat sie vergessen.
Selkirks Ziege liegt abends am Feuer,
sieht ihn tanzen und freut sich an seiner
Bewegung, er tanzt für sie und für sich.
„Notfalls“, denkt Selkirk und sieht ihr nicht in
die gelben, hellbewimperten Augen,
„notfalls kann ich sie jederzeit schlachten.“